Mehrmals die Woche mussten wir mit allen Kindern aus unserer Gruppe ins Solebad. Nach der Mittagsruhe mussten wir uns in Zweierreihen aufstellen. Ich hing immer mit Maria, die auch im Schlafsaal neben mir lag. Ihre schwitzige Hand lag in meiner, wenn wir singend zum Badehaus zogen. Das machte mir immer am meisten Spaß – die schönen Lieder, die wir auf dem Weg zum Baden singen durften. Im Badehaus selbst mussten wir still sein und den Mund halten. Dort herrschte ein eigenartiger Geruch – schwer, holzig und irgendwie gemütlich. Der Geruch erinnerte an Wacholder. Wir mussten uns nackt ausziehen und in eine Holzwanne mit einer heißen, braunen Brühe legen.

Der Bottich im Solebad war sehr hoch. Mit meinen kurzen Beinen konnte ich nie den Boden berühren. Das machte mir Angst, denn schwimmen konnte ich noch nicht. Oben auf den Holzbottich wurde ein Brett gelegt, damit wir in der Wanne bleiben. Ich hasste das Baden in dem braunen salzigen Wasser. Stillliegen und sich nicht bewegen – eingezwängt zwischen dem Brett und der Wanne. Marie hingegen freute sich jedes Mal auf das schöne wohlig warme Bad und den wohligen Duft im Badehaus. Wenn wir uns endlich aus der warmen Wanne hieven durften, folgte das Schlimmste: Kaum waren wir der braunen Brühe entflohen, wurden wir mit eisig kaltem Wasser übergossen. Die Zähne bibberten.

 

Hintergrund: Abhängig von den in einem Kurort angebotenen Kurmitteln erhielten die Kinder während ihres Aufenthaltes diverse Kuranwendungen, wie Solebäder, Soleinhalation am Gradierwerk oder in Inhalationskammern, Liegekuren oder Anwendungen mit der Höhensonne. Dabei wurde im seltensten Fall nach Indikationen unterschieden. In Bad Sassendorf erhielten die meisten Kinder Bäder in der Sassendorfer Natursole, gefolgt von einem kalten Guss. In einigen Kinderkureinrichtungen befanden sich die Badezellen direkt im Haus oder auf dem Gelände der Klinik. Kleinere Einrichtungen schickten die Kinder zum Baden ins Kurmittelhaus. Die Badezeit wurde von Mal zu Mal gesteigert. Von ursprünglich wenigen Minuten, wurde die Zeit kontinuierlich erhöht. Die Träger zahlten der Badeverwaltung einen abgestimmten Betrag für die Bereitstellung der Sole. In den meisten Verträgen zwischen den Einrichtungen und der Verwaltung ist vermerkt, dass maximal zwei Kinder gemeinsam in einer Badewanne baden durften. Um den Kindern eine dauerhafte Luftveränderung zu ermöglichen, richteten viele Träger ihre Heime in direkter Nähe zu einem der Gradierwerke ein.